Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Günther Rechn,
ich freue mich sehr, an diesem für eine Kunstausstellung durchaus außergewöhnlichen Ausstellungsort eine Laudatio auf den Cottbuser Maler Günther Rechn halten zu dürfen. Ich hatte neben Galerien, Schlössern und Museen auch schon Kunstausstellungen in Kanzleien, Kirchen, Banken und sogar auf einem Friedhof begleitet, aber im Kundenzentrum eines Autoherstellers zu sprechen, ist für mich wieder eine neue Erfahrung.
Das Auto gehört zum Alltag vieler Menschen. Die meisten fahren es, weil sie irgendwie von A nach B kommen müssen und nicht, weil sie das Auto um des Autofahrens fahren, sozusagen aus reinem Genuss. Leistet man sich einen Neuwagen, der ein ansprechendes Design hat, der glänzt, außen noch unversehrt und innen sauber ist und nach „neu“ duftet, wird man diesen eine gute Weile sehr bewusst fahren und das Neue mit allen Spielereien zu schätzen wissen. Leider hält dieser Zustand nicht ewig und er wird irgendwann zu einer alltäglichen Angelegenheit.
Wie kriegt sie jetzt den Bogen zur Kunst, werden Sie sich vielleicht fragen. Nun, ob sie es glauben oder nicht, es gibt tatsächlich einige Gemeinsamkeiten oder vergleichbare Elemente, die für eine Ausstellung von Autos und Malerei sprechen. Für die einen mögen diese Gemeinsamkeiten an den Haaren herbeigezogen sein, für mich hingegen sind es spannende Analogien, wie wir sie immer wieder im Leben oft ganz unerwartet finden. Gemeinsamkeiten, Ergänzungen, aber auch ein Austausch von Gegensätzen.
Zunächst ist hochwertige Kunst für die, die sie erwerben oder nur bewundern und betrachten, ebenfalls Luxusgut, etwas, was mit Genuss zu tun hat – wie ein sehr hochwertiges oder besonders altes Auto. Dabei kann die Kunst
ebenfalls neu oder alt sein. Sammler, die sich mit ihr umgeben, sind denen nicht unähnlich, die auch Autos sammeln. Sie gehören zu der Spezies, die diese, ob alt oder neu, bewusst fahren oder eben Kunst genießen können.
Diese Ausstellungsfläche, die sonst Karosserien vorbehalten ist, wird mit der hier gezeigten Kunst zur Galerie. Oder ist sie das nicht ohnehin schon? Wo ist da der Unterschied zwischen der Präsentation von Autos und der Präsentation von – in diesem Fall – Malerei? Zugegeben, die Kombination von beidem kommt nicht sehr häufig vor. Falls Sie sich schon ein wenig umgesehen haben, mögen Ihnen die Motive auf den ersten Blick nicht viel mit Fahrzeugen zu tun haben. Doch schaut man über den Tellerrand und lässt seine eigene Phantasie etwas spielen, lassen sich bei einigen Werken erstaunliche Gemeinsamkeiten mit dem Element Automobil erkennen. Und hierfür, aber auch für alle anderen Bilder möchte ich Ihnen meine Augen leihen und meine Sicht der Dinge schildern.
Günther Rechn ist ein Lausitzer Maler, oder besser – ein Maler in der Lausitz – was aber seine Sicht auf die Dinge nicht regional einschränkt. Im Gegenteil: Er reist, um andere Menschen, andere Landschaften, andere kulturelle Atmosphären einzufangen und schätzt gleichsam das Lebendige vor seiner Haustür. Er wagt sich an jedes Sujet, ist aber nicht beliebig. Er scheut nicht die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen und hat dennoch die Größe, scheinbar banale Motive einzufangen, die gleichsam fesseln. Das, was Sie in diesen Räumen vorfinden, ist ein winziger, aber dennoch repräsentativer Ausschnitt seiner Malerei. Entdecken Sie Ästhetik und Schönheit, farbliche Ausgewogenheit, Kraft und Eleganz, Ruhe, Coolness und Anspruch. All das trifft zugleich auch auf die anderen Ausstellungsstücke zu: die Automobile! – womit wir wieder bei Gemeinsamkeiten und dem Austausch sind.
Autodesigner fertigen die ersten Skizzen und Entwürfe nach wie vor von Hand. Dafür müssen sie das Handwerk eines Formgestalters beherrschen; designen aber auch den Innenraum der Fahrzeuge und wählen später Materialien und Lackfarben aus. Die Herangehensweise des Malers Günther Rechn an seine Werke ist dem gar nicht so unähnlich: Sie ist ein Skizzieren mit der Konzentration auf das Motiv im Raum, ein Umsetzen in Farbe und Kontrasten und das Herauskehren von Bewegung und Lebendigkeit, selbst wenn es sich um ein Stillleben handelt. Es ist die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der Rechn Dinge und Lebewesen auf seine Leinwänden holt, so dass es wie eine Fingerübung daherkommt. Er ist noch einer der alten Schule, die das lineare Zeichnen mit allen Konsequenzen trainierten, bis sie es so verinnerlichten, dass sie kein Modell mehr nötig haben. Die Kunsthochschule der Burg Giebichenstein in Halle bildete ihn mit namhaften Lehrern wie Hannes H. Wagner oder Willi Sitte darin aus und gab ihm Grundlagen mit auf den Weg, die er im Laufe eines Malerlebens perfektionierte. Es ist das jahrzehntelange Studium mit dem Zeichenstift, der gekonnt gesetzt werden will, aber nur das zeigt, was nötig ist. Den Menschen schaut er genau ins Gesicht und kehrt gelegentlich in seiner ihm eigenen Überhöhung absurde Situationen oder defekte zwischenmenschliche Beziehungen heraus. Es ist der Spiegel, den er uns vorhält, so auch bei einem der Hauptwerke dieser Ausstellung „Erlkönigs Töchter“. Jedem Autokenner ist das Phänomen „Erlkönig“ ein Begriff, wobei die meisten von ihnen nicht den alten Goethe vor Augen haben. Rechns unverstellter Blick deckt auf, stellt bloß, rückt sehr nah und legt den Finger da in die Wunde, wo es ihm wichtig ist. Goethes berühmteste und durchaus verstörende Ballade trifft hier auf die gleichnamigen Prototypen von Autos, die sich mit getarntem Äußeren und riskanten Testfahrten schnell in einer gefährlichen Grauzone bewegen. Der Fiebertraum des Kindes aus der Ballade steht mit Verführung, Rausch und Gewalt den schemenhaften Autos auf einer schnellen Straße entgegen. Der anzügliche Sündenbabel und das manchmal zweifelhafte Vorgehen der Autoindustrie, um die Konkurrenz in Schach zu halten, wächst sich auf beiden Seiten zu einem Geschwindigkeitsrausch aus.
Auch das monumentale Werk „Tanz um das Goldene Kalb“, welches Sie am Eingang finden, gehört ebenfalls in diese Kategorie Gesellschaftskritik. Wenn Sie dieses Bild betrachten, werden Sie staunen, wie viel Skurrilität,
Überzeichnungen, aber auch Wahrheiten sich darin finden und damit auch eine Parallele unseres Zeitgeistes, unserer Handlungsmuster – zugespitzt natürlich. Auf der einen Seite des Zauns das Schwelgen im Überfluss, sinnentleert in dieser Welt zu stehen, sich gierig auf immer mehr zu stürzen, immer höher hinaus zu wollen, sich größer zu machen, als man ist, um sich im Tanz ums goldene Kalb selbst zu feiern, während jenseits des Zauns der Crash längst stattgefunden hat. Man muss nicht bibeltreu sein und die Geschichte Moses kennen, um dieser Metapher der Verehrung von Reichtum und Macht begegnet zu sein.
Günther Rechn ist ein ausgezeichneter Kenner menschlicher und tierischer Physiognomien. Er hält beide oft so in der Bewegung fest, dass wir als Betrachter das Gefühl bekommen, die Szene vor Ort mitzuerleben und bei schnaubenden Stieren, aufspringenden Hunden oder kämpfenden Hähnen lieber gern mehrere Schritte zurückgehen möchten. Hinzu kommt die faszinierende Mischung aus der gewählten Perspektive, einem flirrenden Licht und der eingefangenen Stimmung. Wenn Sie sich umsehen, finden Sie viele scheinbar banale Motive, die jedoch eine unerklärliche Verbindung zum Betrachter herstellen. Selbst die Szenerien, in denen menschliche Figuren auftreten, drängen sich thematisch nicht in den Vordergrund, sondern fangen sie scheinbar willkürlich ein, so dass die Bewegungen in einem ungewöhnlichen Moment festgehalten werden. Rechn spielt mit unseren Sehgewohnheiten, unserer Phantasie und unserer Neugierde, wenn der Bildrand, statt zu Rahmen, zentrale Motive provokant abschneidet. Auch stellt er dabei nicht die Figuren bloß, sondern vielmehr uns als Betrachter, denn wir werden beim Zuschauen ertappt. So sind wir Zeugen skurriler Gestik und Mimik und fühlen uns zugleich berührt oder gar beteiligt, weil wir aus dem Bild heraus direkt angeblickt werden.
Tiere – für ihn Zeit seines Lebens ein besonderes Thema und als Malender ein dankbares Motiv, da sie so unverstellt und ehrlich sind. Sie handeln immer intuitiv, auch die Hunde, trotz ihrer mehr oder weniger geglückten Erziehung
durch Menschenhand. Als ausgesprochener Hundekenner gelingt es dem Maler, ihren rasse-typischen Charakter und sogar ihre augenblicklichen Emotionen einzufangen: mal ist es die sprühende Freude und der Schalk im Nacken, mal gespannte Aufmerksamkeit und Neugierde und eben auch mal Unberechenbarkeit. So finden Sie in dieser Ausstellung ein paar herrliche Exemplare dieser Gattung Tier. Vom unbekümmert dreinschauenden Mops bis hin zu der aufspringenden Meute.
Die Formierung des Turmes – eine Adaption des verschollenen Turm der blauen Pferde des Expressionisten Franz Marc – ist ein weiteres Hauptwerk dieser Exposition. Die tatsächlichen Pferdestärken auf diesem Großformat stehen – als weiteres Gleichnis in dieser Auto-und-Kunst-Kooperation – den motorbetriebenen PS dieses Hauses gegenüber: vor Kraft und Energie strotzend, sich aufbäumend und zum Start formierend ist das Hufgetrappel und ungeduldige Wiehern, ähnlich aufheulenden Motoren, beinahe hörbar. Die Spannung in diesem Bild erreicht ihren Höhepunkt und droht jeden Augenblick, sich zu entladen. Sie finden in dieser Ausstellung noch weitere Pferdestärken auf Leinwänden, die elegant und kraftvoll von der Liebe des Malers zu diesen Tieren berichten.
Groß und energiegeladen sind auch die Silberreiher. Wie ein Aufatmen oder ein Entfalten eines Fächers fliegen die großen Vögel auseinander. Das Blau des Wassers und das des Himmels verleihen dem Motiv eine außerordentliche Frische und Heiterkeit. Dieses Kammerspiel ist ein kleines Naturereignis, das der Maler hier einfängt. Es gelingt ihm, diese Geschöpfe in ihrer Eleganz und Schönheit darzustellen und die fließenden Bewegungen und den Wind ihres Flügelschlags fast erlebbar zu machen.
Dann sind da die Stillleben wie die Hagebutten, das üppige Blumenbouquet mit dem Titel Geburtstag oder der getrocknete Strauß aus Wildkräutern. Auch sie erhalten ihre Bühne. Sie strahlen bei aller Bescheidenheit eine ungeheure Kraft und Natürlichkeit aus. Rechn lenkt die Konzentration auf das pastos gemalte Motiv, in dem er den Hintergrund reduziert. Ein Stilmittel, wie es immer wieder in seinen Bildern zu finden ist.
Und schließlich gibt es die Landschaften, die ihn zu finden scheinen, wenn er auf Reise geht, ob in der Lausitzer Heimat oder über die Landesgrenzen hinaus. In den Bildern Italiens fängt Rechn genau das ein, was wir so lieben, wenn wir Italien bereisen: diese Stimmung, das Alter von Städten und Dörfern, das an ihren Fassaden und Straßen abgelesen werden kann, gepaart mit der flirrenden Wärme und dieser Zufriedenheit ihrer Bewohner. Letztere sind ebenfalls eine seiner Spezialitäten. Menschentypen, liebgewonnene Freunde, Familie.
Verehrtes Publikum, die Welt des Günther Rechn und die Welt der Automobile haben an diesem Ort und für die kommenden Wochen einen interessanten, spannenden Dialog vor sich. Die Idee, Initiative und Organisation für diese Ausstellung ist vor allem Ulrich Evers zu verdanken, der hierfür mit viel Leidenschaft und Engagement alle Hebel in Bewegung gesetzt hat. Das wirklich hervorragende Ergebnis, meine Damen und Herren, dürfen Sie sogleich bestaunen. Günther Rechn ist im übrigen ein sehr geselliger Mensch. Sprechen Sie ihn ruhig an oder genießen Sie einfach die Energie, die von diesen Bildern ausgeht und lauschen Sie dem Dialog von Auto und Kunst.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin